MUSIKGESCHICHTEN
Ausschnitte aus Texten und dem Leben, Musikalisches, Poetisches, Erlebtes, vielleicht sind Sie, seid Ihr, bist Du mal dabei, wo auch immer
Ausschnitte aus Texten und dem Leben, Musikalisches, Poetisches, Erlebtes, vielleicht sind Sie, seid Ihr, bist Du mal dabei, wo auch immer
Wer unterwegs ist, erlebt allerlei, mit Musik, in Gemeinschaft, mit Menschen aus der ganzen Welt oder alleine
Mexiko ist ein buntes Land in vielen Farben. Von Indio-Märkten über farbig gestrichene Hausfassaden und ebensolche Boote in den schwimmenden Gärten von Xochimilco. Mit sehr großen Kontrasten. Als Schwellenland zählt es zu den Entwicklungsländern. Deshalb ist es vielleicht zwangsweise, lebendig und lebhaft, weil viele Menschen um´s Leben bzw. Überleben kämpfen müssen. Reine Wohlstandsprobleme und -krankheiten gibt es eher weniger, hatte ich den Eindruck. Anfang/Mitte der 90er Jahre war ich als Rucksacktourist dort unterwegs. Neben vielen lauten Momenten, blieb mir die Stille und Einsamkeit zwischen dem Popocatépetl, dem fünfthöchsten Berg und dem Iztaccíhuatl, als siebthöchsten Berg Amerikas, in Erinnerung. Damals war der Erstere nicht aktiv als Vulkan, dennoch hatte ich mit Mitreisenden die Besteigung bis zum Kraterrand vor. Wir haben das Vorhaben aber ca. 400-500m darunter abgebrochen. Zu schlecht aklimatisiert im noch jugendlichen Leichtsinn, obwohl Studierende, und es gab deutliche Anzeichen einer Höhenkrankheit auf ca. 5000m Höhe.
Da ich eher "Genusswanderer" bin, reichen mir Gipfelerfolge im Allgäu und ein Genuss war es nicht, weil es auf der Bergsteiger-Herberge damals nichts mehr zu Essen gab. Mit ausgehungertem Magen Vulkane besteigen, macht es nicht leichter und sinnvoller. Vernunft kann manchmal auch hilfreich sein. Der Berg ist seit Längerem gesperrt, ist schließlich ein aktiver Vulkan.
Merkwürdig, dass das Drama der Sage über die zwei Berge ein wenig zu meiner damaligen persönlichen Situation passte. Einem präsenten inneren Angst- und Verlust-Drama zu dem der Berg als Vulkan passte. Und zu verschlossenen Türen. Die ganze Geschichte sprengt hier den Rahmen. Gibt´s vielleicht an anderer Stelle zu lesen.
Einen frühen Bezug zu Mexiko entstand bei mir in der Grundschule. Durch Musik. Beim Kinderfest mussten wir zu mexikanischer Musik tanzen. Also tanzen ist übertrieben, irgendwie im Kreis laufen mit seiner Kreislaufpartnerin und umgekehrt, sich gegenüber stehen in inneren und äußeren Kreisen, wahrscheinlich in die Hände klatschen oder sowas. Jedenfalls hat mir das als Kind tatsächlich Freude gemacht. Die Mariachimusik die damals aus den Lautsprechern klang, kennt jede(r). Der "Mexican Hat Dance" wurde zu "El Jarabe Tapatio" getanzt. Das fühlte sich vergleichsweise lebendig an. Heute sage ich, wir durften tanzen. Zum Glück. Mit gebastelten und bemalten Sombreros aus Papier, Mädchen in Kleidern. Manche zumindest. Nicht ganz so bunt und schön, wie sie von den mexikanischen Frauen bei diesem Tanz getragen werden. Aber trotzdem haben viele Kinder einfach gelacht damals auf dem Kinderfestplatz in Bolheim. Dass das gleiche Musikstück irgendwann für Werbespots einer Fastfoodkette verwendet wird und ich ausgerechnet die Hamburger und Pommes aus diesen Lokalitäten als Durchfall-Vermeidungsstrategie einsetzen würde, hätte ich nie gedacht. Die esse ich sonst selten bis nie. In Acapulco hängen geschlachtete Hühner zum Verkauf an der Straße herum. Bei fünfunddreißig bis vierzig Grad Außentemperatur. Und wer in einem mexikanischen Überlandbus unterwegs war und während einem Stop die Toilette besuchen musste, der weiß, dass die hygienischen Bedingungen so ganz anders sind, als im eigenen Herkunftsland. Vielleicht war der Magen aber auch geschockt vom imperialistischen Cola, das eigentlich keines war, sondern ein Glas Eiswürfel und ein Spritzer davon. Der Magen musste mit einem großen Temperaturunterschied klarkommen. Nicht leicht.
Die Musik mexikanischer Mariachis gefiel mir als Kind besser, als dass, was auf dem Podest die einheimische, deutsche Kapelle spielte. Irgendwie sind Blasinstrumente aus Blech häufig mit dem Trinken von Alkohol, im deutschen Fall Bier, verbunden. Sicher auch bei anderen Instrumenten der Fall. In Mexiko wird Tequila getrunken. Anders, als Deutsche denken, dass man den Agavenschnaps in Mexiko trinken müsse. Gerade hörte ich noch im Unterallgäu ein "Oans, Zwoa, Gsuffa" als "Prosit der Gemütlichkeit"..auf einem Kinderfest. Total gemütlich. Papa besoffen nach dem Fest? Kinder als Grund für den Bierverkauf? Auch wichtig im Land der Brauereitradition. Wofür Kinder alibimäßig so alles benutzt werden? Dass das eigene Kind der Grund ist, sich zu betrinken, sollte dem, wenn es der Fall ist, besser nicht vermittelt werden. Das wäre pädagogisch-psychologisch nicht sinnvoll, bzw. müsste man Fachkräfte befragen. Am Allgäuer Badesee liefen später männliche junge Erwachsene ein, die natürlich alkoholisiert von dem "Kinderfest" kamen. Die waren wohl erfolgreich sozialisiert worden. Bei Magenverstimmungen kann man in Mexiko durchaus mit einem Tequila probieren, die Situation zu bessern. Hat wenig genützt. Den "Hat Dance" im trunkenen Zustand zu tanzen, könnte sich schwierig gestalten. "Unter dem Vulkan" ist Literatur aus England, da kommt der genannte Vulkan und als Hauptfigur ein Alkoholkranker vor. Dass Himmel und Hölle manchmal nahe beieinander liegen, war auf dieser Reise eine Erfahrung. Auch wenn es höllische Schmerzen in Kopf und Körper durch dünne Höhenluft statt Alkohol geben kann. Fieber durch eine Infektion, statt nur Hitze und einem Verlustgefühl, dass vermutlich aus ganz früher Kindheit stammte und fern der Heimat zur Tortur wird.
Alkohol nützt nicht all zu viel bei diesen Schmerzen und ich habe Menschen erlebt, die sich und damit Vieles kaputt gemacht haben.
Ob der beerdigte Mensch Alkohl getrunken hat, bei dessen Begräbnis ich Zeuge war, weiß ich nicht. Auf jeden Fall spielte auch dort eine Mariachi-Kapelle recht fröhliche Musik. Die Toten werden in Mexiko gefeiert. Nicht (nur) von Frauen, weil der alte Macho jetzt endlich unter dem Boden ist. Das Leben wird als eine Art Durchreise gesehen, die die Toten vom Diesseits ins Jenseits bringt. Der Tod ist im Glauben der mexikanischen Bevölkerung nicht das Ende. Die Seele stirbt nicht, sondern verweilt lediglich im Jenseits und kehrt ein Mal im Jahr zurück ins Diesseits. An Allerseelen. Und Familien treffen sich am Todestag nachts auf Friedhöfen und hören die Lieblingsmusik des/der Verstorbenen. Trinken, bei AlkohlfreundInnen den Lieblingsschnaps, essen das Lieblingsessen. Ob die Fastfoodkette da mit Hamburgern präsent ist? Die Werbeabteilung wird alles dafür tun.
Das bringt mich zurück zu meiner Musik. Denn genau darum geht es mir. Die Brücke vom Diesseits in´s Jenseits zu schlagen und umgekehrt.
Die Grenze zwischen Leben und Tod aufzuheben, die es vielleicht gar nicht gibt. Ob es im Jenseits Hamburger geben muss.., oder allzu umweltschädliche Luxus-Hybridfahrzeuge? Vielleicht gibt es dort mehr Intelligenz oder ist normaler Zustand.
VW Käfer Mexiko Taxis, Schwester von Gerd. Schleudern im Winter. Zu viert unterwegs. Kugelporsche.
Unfall meiner Schwester. Daran erinnere ich mich heute noch, wenn ich schnell auf diese Kurve zufahre. Ohne Käfer.
Vater Schwester bei Unfall.
Foto: Dietmar Schrader